Pl. Mira, St. Petersburg 1991, Foto: Karsten Brüggemann ©

Stadt der Rohre

Karsten Brüggemann

Rohre auf den Straßen, ob mit Baustelle in der Nähe oder ohne.

Rohre in öffentlichen Gebäuden, sobald man die prächtige Eingangshalle verlassen hatte, manche an den Wänden vorbeiziehend, manche einfach auf dem Boden entlangkriechend. Bei Schummerlicht herrschte höchste Stolpergefahr.

Rohre in den Treppenhäusern der Wohnhäuser, manchmal auch unverputzte Rohre in den Wohnungen selbst, durch die das Wasser rauschte. Wenn Nachbars Klo spülte, stockte die Konversation.

Rohre, ob mit oder ohne erkennbare Funktion, gaben dem Land etwas Unfertiges, Unaufgeräumtes, ja Unsauberes.

Die Stadt ein Abenteuerspielplatz für den Fremden – und die Baustellen erschienen dem bundesdeutschen Auge als chaotische Kriegsschauplätze. Wie die Russin und der Russe sich mal mehr, mal weniger elegant und äußerlich ungerührt ihren Weg über die schwankenden und schlammigen Pfade über die Löcher im Herzen der Stadt bahnten, erfüllte einen mit Hochachtung.

 

Prof. Dr. Karsten Brüggemann studierte Slawistik und Geschichte in Hamburg und Leningrad. Seit 2008 ist er Professor für Estnische und Allgemeine Geschichte an der Universität Tallinn.

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