Eröffnung McDonald’s, Moskau 1993, Foto: Katharina Kucher CC BY-SA 3.0
Hamburger in Staatskarossen
Katharina Kucher
Moskau, 1. Juni 1993. Auf der Twerskaja ein Menschenauflauf, schwarze Staatskarossen, Sicherheitspersonal und Journalisten. Kein Staatsbesuch, aber ein Staatsakt: die Eröffnung eines weiteren McDonald’s Restaurants in der russischen Hauptstadt. Präsident Boris Jelzin verlässt winkend und gut gelaunt das Gebäude. Rote Fähnchen für das Staatsoberhaupt schwenkt nun nicht mehr die kommunistische Jugend, sondern das Personal der Fastfoodkette. Auf dem Rücksitz einer der Regierungslimousinen gut gefüllte Plastiktüten mit dem gelben Logo.
Absurd? Sicherlich. Aber auch wieder nicht. Es gab so viele absurde Situationen während meines einjährigen Studienaufenthaltes in Moskau 1992/93, dass ich sie als Bestandteil des Alltags wahrnahm. Sie entstanden aus dem Aufeinandertreffen von sowjetischen Strukturen und Werten mit westlichen Einflüssen.
Das Studienjahr war ein Privileg: Materiell abgesichert und mit großen Freiheiten ausgestattet, erlebten wir Austauschstudierende den Transformationsprozess über Monate ganz unmittelbar. Von der Öffnung der Archive über die permanente Veränderung des Warenangebots hin zur Erosion des geordneten Lebens. Wir sahen in unseren Freundeskreisen, welche Konsequenzen der politische Umbruch für die Lebenssituation der einzelnen Bürgerinnen und Bürger hatte.
Eine für mich bis heute wichtige Erkenntnis dieser Zeit ist, dass es sich lohnt, den zunächst belanglos oder grotesk anmutenden Alltäglichkeiten nachzugehen – sie verraten oft mehr über politische, ökonomische und mentale Veränderungen als groß angelegte politologische Analysen.
PD Dr. Katharina Kucher studierte Slawistik und Geschichte in Konstanz und Moskau. Seit 2020 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg und verantwortliche Redakteurin der „Jahrbücher für Geschichte Osteuropas“.