Tobende Jungs, Samarkand 1990, Foto: Reinhard Frötschner CC BY-SA 3.0
Ausgelassene Grundschulkinder in Samarkand 1990
Reinhard Frötschner
Als das Foto entstand, war ich mitten im Studium und – zusammen mit ein paar anderen Münchner Slawistik-Studenten und -Studentinnen – für 5 Monate zum Russischlernen in Moskau. Mitten im eiskalten, dunkel-tristen Moskauer Winter 1990/91 eröffnete sich uns ganz unerwartet die Möglichkeit, eine einwöchige Reise durch die damaligen Sowjetrepubliken Kasachstan und Usbekistan zu unternehmen.
Es war meine erste Reise über die Grenzen Europas hinaus, und so fühlte ich mich in Samarkand wie versetzt in das Reich von „Tausend und einer Nacht“. Ich war erfüllt von Eindrücken morgenländischer Exotik und – nach der Erfahrung des Mangels an allem, der Kälte und einer gewissen freudlosen Angespanntheit der Menschen in Moskau – berauscht von Licht und Wärme, von der Üppigkeit des Lebensmittelangebots und zu guter Letzt auch von der Offenheit und Warmherzigkeit der Menschen.
Auf einem meiner Streifzüge durch Samarkand gelangte ich zufällig auf das Gelände einer Grundschule, wo ich schnell die Aufmerksamkeit wild tobender und zugleich sehr wissbegieriger Jungen erregte, die mich nach allem fragten, was ihnen gerade in den Sinn kam, und schließlich für ein Foto posierten. Die Unvoreingenommenheit, Lebendigkeit und Natürlichkeit der Jungen hat mich gerührt und berührt. Es war für mich keineswegs selbstverständlich, dass ich mich mit diesen Kindern und danach auch mit deren Lehrer, der mich sofort zu sich nach Hause zu einem wunderbaren Abendessen mit seiner Familie einlud, einfach so unterhalten konnte. Ich war begeistert und dankbar, dass meine Russisch-Kenntnisse es mir ermöglichten, nicht nur mit den Menschen in Moskau, sondern auch mit den Menschen in einem so gänzlich anderen Kulturraum wie Usbekistan in direkten Austausch zu treten.
Und heute, 30 Jahre später? Mit einem Sohn im Grundschulalter, der gern und oft wild tobt und zugleich sehr wissbegierig ist, liegt es nahe, beim Anblick der posierenden usbekischen Jungen an das eigene Kind zu denken. Und aus den Fragen, die sich beim Blick auf das Foto aufdrängen – „Wie es ihnen wohl inzwischen geht?“, „Was aus ihnen geworden ist?“, „Ob sie glücklich geworden sind?“ –, wandern die Gedanken weiter zum eigenen Kind, zu dessen Zukunft.
Reinhard Frötschner studierte Geschichte Ost- und Südosteuropas, Neuere und Neueste Geschichte und Slawische Philologie in München. Er ist Mitarbeiter am IOS Regensburg in der Redaktion der „Jahrbücher für Geschichte Osteuropas“ und Lehrbeauftragter an der LMU München.